Denkt man an Homosexualität, denkt man an bunte Paraden und schrille Kneipen. Schwule und Lesben jenseits der 60 sind im Alltag eher unsichtbar, in ländlichen Regionen noch viel mehr als in Großstädten wie Berlin, Hamburg und Köln.
Verwunderlich ist das nicht, denn wer heute 60 oder älter ist, wurde in eine Zeit geboren, in der Homosexualität alles andere als normal war. Als unzüchtig und krankhaft galt alles, was zwischen zwei Männern oder Frauen über Freundschaft hinausging.
So haben viele Homosexuelle ihre Gefühle und Träume seit Jahren mit sich herumgetragen, haben sie immer wieder verdrängt und für sich behalten. Stattdessen hat man eben das getan, was die Gesellschaft erwartete: Man heiratete, bekam Kinder, baute Häuser. Für viele mag das Scheinleben funktioniert haben oder auch noch immer funktionieren, andere haben sich ein Doppelleben aufgebaut, ihre Homosexualität in Affären oder geheimen Beziehungen ausgelebt. Doch so wirklich richtig hat sich das alles nie angefühlt. Und so beschließen immer mehr ältere Homosexuelle, endlich reinen Tisch zu machen.
Vorbehalte gibt es trotzdem noch: Homosexualität wird in vielen Köpfen immer noch eher geduldet als akzeptiert. Doch der Großteil der Gesellschaft ist offener und aufgeschlossener, schwul oder lesbisch sein ist längst kein Tabu mehr. Man könnte also meinen, das Thema sei vom
Tisch. Das trifft auf die jüngeren Generationen sicher zu. Doch wer sich erst im Alter zu einem späten Outing entschließt, hat es trotz allen Fortschritts und aller Anerkennung erstmal schwer. Erst recht, wenn man all die Jahre zuvor mit Ehepartner und Kindern gelebt hat. Was also zunächst nach neuer Freiheit klingt, ist harte Arbeit und erfordert Mut. Viele Fragen tun sich auf: Wie sage ich es meinem Ehepartner? Wie reagieren meine Kinder und der Freundeskreis?
Und wer sich einmal zur Offenheit entschieden hat, sollte den Weg auch konsequent weitergehen und ehrlich sein, zu seinem Umfeld, aber vor allem zu sich selbst. Schließlich ist doch gerade im Alter die Zeit gekommen, die Maske fallen zu lassen und endlich das zu leben, was man ist. Denn es ist nie zu spät für eine andere Liebe.
Hier finden Sie Informations- und Beratungsstellen für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*Menschen: https://www.berlin.de/kultur-und-tickets/gay/beratungsstellen/
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